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Geschichte und Funktion von Bahnhöfen    -        Zehn  Thesen                                                       Dr. Winfried Wolf

 

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Auf dem Höhepunkt der Eisenbahn gab es auf dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik Deutschland mehr als 7500 Bahnhöfe. Bei der Bahnreform 1994 waren es noch 6700. Heute hat die Deutsche Bahn AG noch 5400 Bahnhöfe. Das ist bereits rein  numerisch ein Abbau um fast 30 Prozent. Wichtiger jedoch ist: Bei Beginn der Bahnreform war noch der größte Teil der Bahnhöfe besetzt (mit Schaltern und Service für Ticketkauf, Information usw). Inzwischen haben weniger als 500 Bahnhöfe noch Personal – die Zahl der Bahnhöfe mit Personal wurde demnach um mehr als 80 Prozent reduziert.

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Die Reise der Bahnkunden beginnt „nicht erst im Zug, sondern schon auf dem Weg dorthin. Die schönsten Züge und der beste Komfort verlieren an Akzeptanz, wenn der Kunde den Weg zum Bahnsteig nur widerwillig gehen kann.“ Wer das wohl schrieb? Es war Bahnchef Heinz Dürr (in: Bahnhofsguide Deutschland, 1994). Und er schrieb das just in dem Jahr 1994, als das große Bahnhofssterben begann, was unter anderem Heinz Dürr und dann seine Nachfolger zu verantworten haben.

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Alles Bahngelände (Bahnhöfe, Trassen, Werke usw.) in Deutschland wurde in 175 Jahren Eisenbahngeschichte von der öffentlichen Hand (den Bürgerinnen und Bürgern auf diesem Gebiet) bezahlt. In Tausenden alten Dokumenten (für den Bahnhof X, für die Strecke Y, für das Gebäude Z) lässt sich dies belegen. Oft kaufte die Kommune Gelände von Bürgern, um es dann den privaten oder staatlichen Eisenbahnen zu schenken.  All dies erfolgte jedoch immer mit der klaren Vorgabe: Es handelt sich um Gelände, das dem Eisenbahnbetrieb gewidmet ist. Nur  dies rechtfertigte diese Schenkungen. Wenn die Deutsche Bahn AG heute Bahnhöfe nicht mehr nutzt, dann müssten diese bereits mit Blick auf die Eisenbahngeschichte in das öffentliche Eigentum übergehen. Tatsächlich jedoch ist die Deutsche Bahn AG Verwerter dieser Gebäude. Sie kassiert auch im Fall des Verkaufs die Erlöse.

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Bei der Bahnreform 1993/94 wurde beschlossen, dass „nicht bahnbetriebsnotwendiges Gelände“ nicht der DB AG, sondern dem Bund (dessen damals neu gegründeter Tochter BEV = Bundeseisenbahnvermögen) gehören sollte. Diese Regelung befand sich in der Logik von These 3.  Doch durch einen trickreich in das Eisenbahnerneuerungsgesetz (ENeuOG) von 1993 eingefügten Passus (§23, 6) gelang es, diese Grundsatzentscheidung umzudrehen. Die DB AG ist seit 1996 Eigentümerin von allem Bahngelände und allen Bahnhöfen, gleichgültig ob „bahnbetriebsnotwendig“ oder „nicht „bahnbetriebsnotwendig“.

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Eine gewisse Zahl der Bahnhöfe wird aktuell modernisiert und instand gesetzt. Dies erfolgt jedoch nur zu einem Teil aus Mitteln der Deutschen Bahn AG bzw. deren Tochter DB Station&Service. Meist werden diese Investitionen zu zwei Drittel und mehr von der öffentlichen Hand finanziert (Kommunen, Land, Landesnahverkehrsgesellschaften). Die DB AG profitiert allerdings direkt von diesen Modernsierungen, da damit meist gleichzeitig die Höhe der Stationsgebühren wächst (siehe These 6 und 7).

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DB Station&Service ist ein hochprofitables Unternehmen. Es machte 2010 einen Gewinn von 217 und 2011 von 226 Millionen Euro. Bei rund einer Milliarde Euro Umsatz ist das eine extrem hohe Rendite. Die Einnahmen von Station&Service bestehen aus den Miet- und Pachteinnahmen und vor allem aus den Stationsgebühren, die jeder Zug bei einem Halt in einem Bahnhof bzw. an einem Bahnsteig zu bezahlen hat. Der Gewinn wird jedoch an die Mutter, die DB AG abgeführt. Diese wiederum investiert ihre Gewinne zu einem großen Teil im Ausland (siehe u.a. im Jahr 2010 den Kauf des britischen Bus- und Bahnbetreibers  Arriva plc für 3 Milliarden Euro).

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Die Deutsche Bahn AG respektive DB Station & Service wollen einerseits die Zahl der eigenen Bahnhöfe weiter reduzieren – auf bundesweit nur noch 500 oder 600, was als „Kernportfolio“ bezeichnet wird.  Gleichzeitig sollen die (an die Holding abzuführenden) Gewinne von Station&Service weiter wachsen.

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Die reale und schmerzhafte Entwicklung bei den Bahnhöfen im deutschen Schienennetz steht in offenem Widerspruch zu den vielen Aussagen der verantwortlichen Bahn-Manager. Heinz Dürr schrieb als Bahnchef 1994 im bereits erwähnten „Bahnhofsguide“: „Die Deutsche Bahn AG verfügt über rund 6500 Personenbahnhöfe. Diese sollen sukzessive zu modernen Verkehrsstationen mit umfassendem Service ausgebaut und zu urbanen Kommunikationsstätten weiterentwickelt werden.“. Dr. André Zeug, Vorstandsvorsitzender von Station&Service,  schrieb 2012: „Das Ziel lautet: das Erscheinungsbild und den Komfort der rund 5400 Bahnhöfe stetig zu verbessern. Denn unsere Kunden (…) erwarten gepflegte, sichere und voll funktionsfähige Bahnhöfe“ (Broschüre Niedersachsen – Bahnhöfe im 21. Jahrhundert, herausgegeben von Station&Service 2012).

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Diese öffentlichen Aussagen des Führungspersonals der Deutschen Bahn zur Zukunft der Bahnhöfe stehen in krassem Gegensatz zu einer Realität, wie sie seit knapp zwei Jahrzehnten zu beobachten und wie sie in dieser Ausstellung dokumentiert ist. Wenn verantwortliche Bahnmanager das Gegenteil sagen, was sie real praktizieren, so muss man dieses als eine bewusste Täuschung der Öffentlichkeit bezeichnen.

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Notwendig ist, die Bahnhöfe wieder tatsächlich zu dem zu machen, als was sie zu Recht oft bezeichnet werden: als Visitenkarten der Eisenbahn, als Orte von Kommunikation und Service. An einigen – noch allzu wenigen – Orten wird dies, auch in Brandenburg,  durchaus bereits praktiziert (siehe Belzig – Bahnhöfe Land Brandenburg). Dies wird auch weitgehend regional praktiziert – so im Schienennetz der Usedomer Bäderbahn, wo alle Bahnhöfe wieder vorbildlich instand gesetzt wurden. So im gesamten Schienennetz der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB).

 

Selbst wenn alle 5400 Bahnhöfe im deutschen Schienennetz wieder mit Personal besetzt werden würden, so würde das nur rund 900 Millionen Euro jährlich erfordern und 20.000 zusätzliche sinnvolle Arbeitsplätze schaffen. Gleichzeitig würden andere Kosten (Vandalismusschäden, Automaten) drastisch reduziert und das Ansehen der Bahn immens gesteigert. Schließlich hatte die Eisenbahn 150 Jahre lang besetzte Bahnhöfe; 1994 gab es noch 50.000 Bahnbeschäftigte im Bereich der Bahnhöfe; heute sind es noch 4500 (BRD).

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